Predigt

Tauferinnerung

"Haus der lebendigen Steine"

Predigttext1.Petrus 2,1-10 (mit exegetisch-homiletischen Hinweisen)
Kirche / Ort:Christuskirche / Aachen
Datum:27.07.2014
Kirchenjahr:6. Sonntag nach Trinitatis
Autor:Pfarrer Manfred Wussow

Predigttext: 1.Petrus 2,1-10 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)

1 So legt nun ab alle Bosheit und allen Betrug und Heuchelei und Neid und alle üble Nachrede 2 und seid begierig nach der vernünftigen lauteren Milch wie die neugeborenen Kindlein, damit ihr durch sie zunehmt zu eurem Heil, 3 da ihr ja geschmeckt habt, dass der Herr freundlich ist. 4 Zu ihm kommt als zu dem lebendigen Stein, der von den Menschen verworfen ist, aber bei Gott auserwählt und kostbar. 5 Und auch ihr als lebendige Steine erbaut euch zum geistlichen Hause und zur heiligen Priesterschaft, zu opfern geistliche Opfer, die Gott wohlgefällig sind durch Jesus Christus.

6 Darum steht in der Schrift (Jesaja 28,16): »Siehe, ich lege in Zion einen auserwählten, kostbaren Eckstein; und wer an ihn glaubt, der soll nicht zuschanden werden.« 7 Für euch nun, die ihr glaubt, ist er kostbar; für die Ungläubigen aber ist »der Stein, den die Bauleute verworfen haben und der zum Eckstein geworden ist, 8 ein Stein des Anstoßes und ein Fels des Ärgernisses« (Psalm 118,22; Jesaja 8,14); sie stoßen sich an ihm, weil sie nicht an das Wort glauben, wozu sie auch bestimmt sind. 9 Ihr aber seid das auserwählte Geschlecht, die königliche Priesterschaft, das heilige Volk, das Volk des Eigentums, dass ihr verkündigen sollt die Wohltaten dessen, der euch berufen hat von der Finsternis zu seinem wunderbaren Licht; 10 die ihr einst »nicht ein Volk« wart, nun aber »Gottes Volk« seid, und einst nicht in Gnaden wart, nun aber in Gnaden seid (Hosea 2,25).

Exegetisch-homiletische Vorüberlegungen

Der 6. Sonntag nach Trinitatis ist der Taufe gewidmet. Die Lesungen dieses Tages führen von so manchen Engführungen weg, die sich in der „geübten“ Tauftpraxis – wenn auch seelsorgerlich begründet - eingeschlichen haben. Unser Predigttext ist ein Beispiel dafür, es noch einmal zu wagen, mehr Saiten zum Klingen zu bringen als die von der Segenshandlung.

Historisch spielt die Taufe auch schon in früherer Zeit eine dubiose Rolle. Sie wird über Jahrhunderte auch als Zwangsmittel eingesetzt und spielt – für Juden z.B. – die Rolle von Eintritts-Billets in die sich neu formierende bürgerliche Gesellschaft. Darum ist es wichtig, das Umfeld, die historischen und gesellschaftlichen Bezugspunkte (und „Versuchungen“) immer wieder einzubeziehen, wenn wir über Taufe nachdenken und zur Taufe einladen.

Der 1. Petrusbrief gehört zur Paulusschule. Der uns unbekannte Verfasser versteckt sich aber hinter Petrus und tritt in seine Geschichte – und Autorität - ein. Der Text beginnt mit einer ethischen Aufforderung. V. 1 hat eine konstitutive Bedeutung für den gesamten Text und führt Kap. 1 fort. „So legt nun ab“.

Gliederung und Linienführung:

VV. 1-3 Anknüpfung an die Taufe VV. 4+5 Der lebendige Stein und die lebendigen Steine V. 6 Schriftbeweis 1 V. 7 Der verworfene Stein V. 8 Schriftbeweis 2 V. 9 Das auserwählte Geschlecht V. 10 Schriftbeweis 3

Die VV. 1-3 knüpfen an Tauferfahrungen an. Sie sind biografisch verortet, aber gemeinschaftlich, kirchlich, verknüpft und getragen. V. 1 liest sich in seiner kurzen Form wie eine Taufparänese. Ablegen lässt sich das „alte“ Kleid, „anlegen“ das neue. In der Offenbarung ist von „weißen“ Kleidern die Rede, die die Überwinder anlegen. In V. 1 liegt der Focus auf "ablegen“: Abgelegt werden Bosheit, Betrug, Heuchelei, Neid, Nachrede. Was sich ablegen lässt, lässt sich an 5 Fingern abzählen – passt also in eine Hand.

Auffällig ist das Zutrauen, dies überhaupt ablegen zu können! Das neue Leben lässt sich neu beginnen. Die Taufe ist gleichsam eine Übereignung an ein neues Leben, Zusage und Erfahrung in einem. Die angesprochene Begierde nach der „vernünftigen lauteren Milch“ lässt sich nicht nur als Hinweis auf frisch Getaufte und „Anfänger im Glauben“ lesen, sondern als Aufforderung, das Evangelium wie neugeborene Kinder zu schmecken. Es ist eine Ursprungserfahrung, die Ersterfahrung, die ein ganzes Leben trägt und eine Neuheitserfahrung, die nicht alt wird. V. 3 erinnert daran, dass ihr „ja geschmeckt habt, dass der Herr freundlich ist“. Es ist eine gemeinschaftliche Erfahrung, nicht nur ein Initiationsritus. Wir sind darum gut beraten, uns immer wieder an der „vernünftigen lauteren Milch“ zu laben. Wer glaubt, ihr entwachsen zu sein, kann im Glauben nicht erwachsen werden. Dietrich Bonhoeffer hat in seiner Habilitationsschrift „Akt und Sein“ dieses Kindsein zum Ausgangspunkt seiner Theologie gemacht. Die VV. 1-3 umkreisen die Erinnerung, die Verheißung und den Auftrag, getauft zu sein. Luthers berühmter Satz, in Kreide auf den Tisch geschrieben, „Ich bin getauft“, ist eine Existenzaussage („ich bin“!), die dem Teufel ins Gesicht gesagt wird. Luther weiß um Anfechtungen, die jede Hoffnung rauben.

Die VV. 4+5 weisen auf Christus als dem lebendige Stein, „der von den Menschen verworfen ist, aber bei Gott auserwählt und kostbar“. Ps. 118 wird nicht nur christologisch ausgelegt (s. auch V. 8) , sondern für die Kirche fruchtbar gemacht. „Und auch ihr als lebendige Steine erbaut euch zum geistlichen Haus und zur heiligen Priesterschaft, zu opfern geistliche Opfer, die Gott wohlgefällig sind durch Jesus Christus.“ V. 5 erscheint wie ein Resonanzboden von V. 4. Es gibt eine Verbindung von Christus und seiner Kirche. Paulus spricht vom Tempel des heiligen Geistes.

Homiletisch ist es nicht leicht, die Steine so lebendig werden zu lassen, dass wir uns mit ihnen identifizieren könnten. Die Redeweise von lebendigen Steinen ist uns heute nicht mehr vertraut. Aber in dem alten Wort „auferbauen“ stecken unsere Worte wie Trost, Beistand und Hilfe. Ist es sehr gewagt, auch in ihnen „geistliche Opfer“ zu sehen, die Gott wohlgefällig sind? Es geht um ein neues Haus! Um einen Neubau für unser Leben, für unser gemeinsames Leben, als Getaufte. So statisch das Bild von dem Haus sein mag: es drückt aus, dass wir nicht alleine leben, nicht alleine hoffen, nicht alleine glauben. Ich will in der Predigt eine „Hauseinweihungsparty“ feiern – und durch die vielen Zimmer gehen.

Die VV. 6-11 variieren und vertiefen, was in den VV .1-5 christologisch und ekklesiologisch Tauferfahrungen ausmacht. Wir bekommen jetzt auch das Spannungsverhältnis von „kostbarer Stein“ und „Stein des Ärgernisses“ zu sehen. Die bewussten Zitate aus der Schrift beschreiben die Bedeutung und das Geschick Jesu: Jes. 28,16 und Ps. 118,22 bzw. Jes. 8,14. 1. Petr. 2,1-11 rundet einen Überlieferungszusammenhang ab, der in der Geschichte Gottes mit seinem Volk grundgelegt ist. Bilder sind: auserwählter, kostbarer Stein – von den Bauleuten verworfen – zum Eckstein geworden – ein Stein des Anstoßes und ein Fels des Ärgernisses. Wir spüren in diesem Bild die Massivität des Widerspruchs, vor allem aber die Bedeutung des Ecksteins. Er symbolisiert ein Eigentumsverhältnis und steckt Einflusssphären ab. 1. Petr. 2, 7: Für euch nun, die ihr glaubt, ist er kostbar.

(1) Die VV. 6- 8 spielen noch einmal durch, was die biblische Überlieferung von dem „lebendigen Stein“ zu sagen hat. In Jes. 28,16. heißt es: "Darum spricht Gott der HERR: Siehe, ich lege in Zion einen Grundstein, einen bewährten Stein, einen kostbaren Eckstein, der fest gegründet ist. Wer glaubt, der flieht nicht.“ Dieses Zitat ist – natürlich – in einem anderen Kontext zu Hause, auch in einem anderen Text! Jes. 28 spricht ein Gericht aus über Samaria, die Hauptstadt des Nordreiches (Jes. 28,1-6) und ein Gericht über die Priester und Propheten in Jerusalem (Jes. 28,7-17). In diesen Gerichtsworten wird eine – neue - Zeit des HERRN Zebaoth angesagt. Er wird eine liebliche Krone sein und ein herrlicher Kranz für die Übriggebliebenen seines Volkes (V. 5) – und er legt in Zion einen Grundsteinstein, einen kostbaren Eckstein, „der fest gegründet ist“ (V. 16). Es sind Heilsworte, die eine neue Zeit ansagen – und möglich machen. „Wer glaubt, der flieht nicht“! Die LXX übersetzt: „Wer glaubt, der wird nicht zuschanden.“ Passt das zum Bild vom Eckstein? Wir sehen ein abgestecktes Feld, einen Weg, einen Lebensraum – die vielen Beschreibungen relativieren die dem Bild inhärente Statik, sie lassen einen Raum erkennen, der Leben möglich macht. „Fest gegründet“ hat Gott auch die bewohnte bewohnbare Erde. Jes. 28,6 – nach der ersten Gerichtsankündigung – und Jes. 28,17 – nach der zweiten – verweisen auf Gottes Recht und Gerechtigkeit.

Auch darum ist V. 1 in unserem Predigttext unverzichtbar. Was dort an 5 Fingern abgezählt wird, verbindet uns, wenn auch verhalten und zugespitzt, mit den prophetischen Verheißungen. Die Individualisierung tut der Taufe nicht nur nicht gut, sie führt sogar von ihr weg. Die christologische Fundierung in 1. Petr. 2,6-8 lässt allerdings einen „Auslese-Prozess“ erkennen. Die prophetische Verheißung wird aus ihrem Kontext gelöst und mit einer neuen Geschichte verbunden. Die Gerichtsworte werden ausgeblendet. Die Verheißung bekommt den Raum der Kirche. Alles wird auf Christus ausgerichtet.

(2) Sind die VV. 6-8 christologisch konturiert, führen uns die VV. 9-10 in den Verheißungsraum der Erwählung. Termini sind: auserwähltes Geschlecht – königliche Priesterschaft – heiliges Volk – das Volk des Eigentums. Es sind einerseits priesterliche Vorstellungen und (Selbst)bilder, dann auch Bezeichnungen Israels als Volk Gottes. 1. Petr. 2,9 ist Teil einer Auslegungs- und Wahrnehmungsgeschichte, in der Israel enterbt wird. Der Text gibt das nicht her. Er stellt aber die Christen in den Verheißungsraum, der Israel geschenkt ist. Dass Christen die Schlussfolgerung gezogen haben, sich zu isolieren oder Israels Fell unter sich aufzuteilen, gehört zu der Schuldgeschichte. Es geht darum, „die Wohlaten dessen“ zu verkündigen, „der (uns) berufen hat von der Finsternis zu seinem wunderbaren Licht.“

V. 10 knüpft an Hos. 2,25 an. Der ganze Briefabschnitt erreicht in diesem Bezug seinen Höhepunkt. Hos. 2 verkündet einen Bund „für sie“ – das Bild, das gebraucht wird, ist das der Verlobung. Die „Trauformel“ wird sogar vorgeben: „Du bist mein Gott“ – „Du bist mein Volk“. Leitworte sind auch hier wieder: „Gerechtigkeit und Recht, Gnade und Barmherzigkeit“. Gott fängt noch einmal neu an – Israel fängt noch einmal neu an.

1. Petr. 2,10 hat die Vorlage konzentriert und eingepasst mit „einst“ und „jetzt“. Nun Gottes Volk, nun in Gnaden. Das Zitat aus Hos. 2,25 führt im Kontext der Taufe in eine Liebesgeschichte. Das Wort „Wohltat“ übrigens steht für die ganze und ungeteilte Gnade Gottes. Das Wort ist alt (und auch so fremdartig wie „Gnade“), aber sehr dynamisch und lebendig: Er, Gott, ist uns gut! Er tut gut! Für Menschen, die eigentlich nicht Gottes Volks sind oder sein können, ist das tatsächlich eine Erwählung, ein Liebesbeweis, eine Verlobung.

Ein Vorschlag für die liturgische Gestaltung: Die Gemeinde schart sich um das Taufbecker (oder um die Taufschale), singt: „ Ich bin getauft auf deinen Namen“ und spricht das Glaubensbekenntnis an diesem Ort. Am schönsten freilich ist – eine Taufe im Gottesdienst.

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