Predigt

Golgatha

Karfreitag ist nicht das Ende

PredigttextMatthäus 27,33-54 (mit Einführung)
Kirche / Ort:66989 Nünschweiler
Datum:29.03.2024
Kirchenjahr:Karfreitag
Autor:Pfarrerin Anke Andrea Rheinheimer

Predigttext: Matthäus 27,33-54 „Jesu Tod am Kreuz“ (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 2017)

33 Und als sie an die Stätte kamen mit Namen Golgatha, das heißt: Schädelstätte, 34 gaben sie ihm Wein zu trinken mit Galle vermischt; und da er’s schmeckte, wollte er nicht trinken. 35 Als sie ihn aber gekreuzigt hatten, verteilten sie seine Kleider und warfen das Los darum. 36 Und sie saßen da und bewachten ihn. 37 Und oben über sein Haupt setzten sie eine Aufschrift mit der Ursache seines Todes: Dies ist Jesus, der Juden König. 38 Da wurden zwei Räuber mit ihm gekreuzigt, einer zur Rechten und einer zur Linken. 39 Die aber vorübergingen, lästerten ihn und schüttelten ihre Köpfe 40 und sprachen: Der du den Tempel abbrichst und baust ihn auf in drei Tagen, hilf dir selber, wenn du Gottes Sohn bist, und steig herab vom Kreuz! 41 Desgleichen spotteten auch die Hohenpriester mit den Schriftgelehrten und Ältesten und sprachen: 42 Andern hat er geholfen und kann sich selber nicht helfen. Er ist der König von Israel, er steige nun herab vom Kreuz. Dann wollen wir an ihn glauben. 43 Er hat Gott vertraut; der erlöse ihn nun, wenn er Gefallen an ihm hat; denn er hat gesagt: Ich bin Gottes Sohn. 44 Desgleichen schmähten ihn auch die Räuber, die mit ihm gekreuzigt waren. 45 Von der sechsten Stunde an kam eine Finsternis über das ganze Land bis zur neunten Stunde. 46 Und um die neunte Stunde schrie Jesus laut: Eli, Eli, lama asabtani? Das heißt: Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen? 47 Einige aber, die da standen, als sie das hörten, sprachen sie: Der ruft nach Elia. 48 Und sogleich lief einer von ihnen, nahm einen Schwamm und füllte ihn mit Essig und steckte ihn auf ein Rohr und gab ihm zu trinken. 49 Die andern aber sprachen: Halt, lasst uns sehen, ob Elia komme und ihm helfe! 50 Aber Jesus schrie abermals laut und verschied. 51 Und siehe, der Vorhang im Tempel zerriss in zwei Stücke von oben an bis unten aus. Und die Erde erbebte, und die Felsen zerrissen, 52 und die Gräber taten sich auf und viele Leiber der entschlafenen Heiligen standen auf 53 und gingen aus den Gräbern nach seiner Auferstehung und kamen in die heilige Stadt und erschienen vielen. 54 Als aber der Hauptmann und die mit ihm Jesus bewachten das Erdbeben sahen und was da geschah, erschraken sie sehr und sprachen: Wahrlich, dieser ist Gottes Sohn gewesen!

Homiletische Anmerkungen

Karfreitag – ist das noch der „höchste“ evangelische Feiertag? Und hat er noch einen Stellenwert in unserer schnelllebigen Gesellschaft, wo libertäre Kreise in Wirtschaft und Politik ihn immer mehr in Frage stellen als Tag der Ruhe, als einen der sog. „stillen Feiertage“, wo alles ruhig ist und stillstehen soll? Die Geschäfte geschlossen; die Discos und Kinos, all die Konsumtempel, in denen Menschen der „neuen Religion“ des Shoppings frönen? Manche Parteien haben mittlerweile in den Landesparlamenten erfolgreiche Anstrengungen unternommen, die Feiertagsruhe auch am Karfreitag aufzuweichen. Berufen wird sich dabei auf die persönliche Freiheit. Und ja, natürlich auch darauf, dass längst die gesellschaftliche Realität die in Artikel 139 der Weimarer Reichsverfassung grundgelegte Sonn- und Feiertagsruhe eingeholt hat, wo es heißt: „Der Sonntag und die staatlich anerkannten Feiertage bleiben als Tage der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung gesetzlich geschützt.“ „Seelische Erhebung“ an Karfreitag?

Bei immer mehr ZeitgenossInnen längst nicht mehr gegeben, sondern einfach nur ein – für die meisten Berufstätigen – arbeitsfreier Tag. Und die Vorfreude auf ein verlängertes Osterwochenende, um auszuspannen oder die Osterferien für einen Familienurlaub zu nutzen. Da ist es natürlich hinderlich, dass an Karfreitag alles zu ist und man nichts unternehmen kann, nicht mal ins Schwimmbad oder einen Einkaufsbummel. Was fange ich mit mir an, wenn um mich herum alles ruhig und zu ist? Aber tut nicht gerade das gut? Verschafft uns das nicht die Möglichkeit, um vielleicht mal wieder aufzubrechen in Feld, Wald und Flur zu einem ausgedehnten Osterspaziergang und um die Natur im aufkeimenden Frühling zu genießen? Gottes wunderbare Schöpfung, die sich gerade in der Osterzeit herrlich verwandelt mit all den Blumen und Frühlingsblühern in ihren bunten Farben? Narzissen und Tulpen, Hyazinthen und Krokusse, Osterglocken und Sträucher wie die gelb-leuchtenden Forsythien? Und alle die blühenden Obstbäume in ihrer weißen Blütenpracht, die die Bienen anlocken, um sie zu bestäuben?

Osterzeit – fröhliche Zeit, von Vogelstimmen am Morgen erfüllte Zeit. Zeit, in der die Tiere des Waldes sich auf ihren Nachwuchs vorbereiten und die Osterlämmer geboren werden. Fruchtbare Zeit mit all ihrem Blühen und Wachsen, den Düften und Klängen, den Farben und den warmen Temperaturen, die uns im Frühjahr auch als Menschen innerlich aufblühen lassen. Osterzeit – herrliche Zeit, blühendes Leben in der erwachenden Natur. Aber eben auch der Karfreitag, der dem Osterfest, dem Fest der Auferstehung vorgeschaltet ist. Der Todestag Jesu; seine Martern am Kreuz; der Hass der Menschen und der lange Arm der Mächtigen. Tod und Auferstehung – sie gehören zusammen; es gibt sie nur im „Doppelpack.“ So wie auch der Karfreitag, der Todestag Jesu und der Ostersonntag, der Auferstehungstag aufeinander bezogen sind. Und so, wie auch in der Natur zum Werden immer auch das Vergehen gehört; zum Aufblühen irgendwann wieder das Verblühen, die Ernte im Herbst und der winterliche Stillstand der Natur.

Das ist der Kreislauf der Natur und des Lebens, in den auch wir, als Menschen und Geschöpfe der Erde eingebunden sind – von der blühenden Jugend bis ins Alter, wo unsere Kräfte immer mehr abnehmen. Werden und Vergehen und dazwischen das, was wir „unser Leben“ nennen mit all seinen Höhen und Tiefen. Zeit mit allerlei Aktivitäten und Ruhephasen; Aktivsein und dann wieder Ausruhen, Zeit für das Miteinander in Familie und Freundeskreis, im Vereinsleben, in unserer Peergroup, bei unseren Hobbies; sich erholen, Kraft tanken – sei es im nächtlichen Schlaf oder an arbeitsfreien Urlaubstagen. Oder eben an den Feiertagen, die uns aber auch noch auf etwas anderes hinweisen.

Die altmodische Wortkombination „seelische Erhebung“ in der Weimarer Reichsverfassung verweist uns darauf. Auch unsere Seele tut manchmal Ruhe gut. Zeit, uns innerlich und gedanklich zu sortieren, während unser Alltag im Hamsterrad des Lebens oft fast vollständig verplant ist. Zeit für uns, Zeit für Besinnung, Zeit für manche gedankliche Klärung. Auch sowas braucht im Leben seinen Platz und seinen Raum, den es in unserem bewegten Alltag eben oft nicht hat. Und darum tut uns manchmal eine Pause, ein Tag der Ruhe, wo wir uns nicht ablenken können, auch nicht durch Konsum und äußerliche Ersatzhandlungen wie Einkaufengehen, Shoppen oder Abfeiern in der Disco.

Feiertage wie der Karfreitag also als Chance für uns. Als Tag der den Menschen gerade mit seinem ernsten und feierlichen Charakter als Tag der Ruhe, als einer der wenigen „stillen Feiertage“ guttut.

Exegetische Vorbemerkungen:

Auffällig sind die Drastik und der Hohn, mit dem der Evangelist Matthäus die Kreuzigung Jesu darstellt. So schon christliche Exegeten wie E. Schweitzer in seinem Kommentar: „Matthäus stellt also die Kreuzigung vor allem unter das Thema des Hohnes“ (Schweitzer, S. 335). Damit solle „die Wirklichkeit des Todes Jesu betont werden.“ (ebd.). Jesus werde so „im Bild des dem Spott preisgegeben, leidenden Gerechten gesehen“. (S. 336). Selbst der Essigtrank als ursprünglicher Akt der Barmherzigkeit werde so zum Spott. (ebd.).

Ähnlich auch K. Berger in seinem Kommentar, der feststellt: „Bei der Verspottung Jesu hat Mt zwei Elemente mehr als alle anderen Evangelisten: Man gibt Jesus ein Rohr in die rechte Hand und verspottet ihn durch die Kniebeuge. Beide Züge ergänzen einander. …. Mt. vervollständigt daher gegenüber den anderen Evangelisten die Szene der Verspottung – ganz im Sinne des zeitgenössischen Zeremoniells und der verspottenden Nachahmungen.“ (Berger, S. 124).

Ebenso bestätigen auch jüdische Exegeten die Grausamkeit des Kreuzigungsakts als „römische Hinrichtungsmethode für Nicht-Bürger und Aufständische“ und bestätigen den Ablauf: „Das Opfer wurde an den Querbalken (durch die Handgelenke) angenagelt oder angebunden; die Strafe schloss öffentliche Bloßstellung … und einen schleichenden Tod durch Ersticken ein, da die Erschöpfung des Gekreuzigten es mit der Zeit unmöglich machte, den Körper zum Atmen anzuheben.“ (Das Neue Testament – jüdisch erklärt, S. 70).

Diese Grausamkeit der Kreuzigung Jesu, all der Hohn und Spott, der sich bis zu seiner Todesstunde über ihn ergoss, werden in der Predigt im Anfangsteil aufgegriffen. Und es wird im Fortgang sodann die Solidarität mit allen heute unschuldig Leidenden in dieser Welt betont und so eine Verbindung zum gekreuzigten Herrn hergestellt.

Literatur

Berger, Klaus, Kommentar zum Neuen Testament, Gütersloh ²2023; Das Neue Testament - jüdisch erklärt (hrsg. von W. Kraus, M.Tilly, A. Töllner), Stuttgart 2021; Hahn, Horst, Aus Jerusalem für alle Welt. Eine Einführung in das Neue Testament, Speyer 2017; Klaiber, Walter, Einführung in das Neue Testament. Seine Entstehung und seine Schriften (Reihe: Wissenswertes zur Bibel 4), aktualisierte Neuausgabe, Stuttgart, 2003; Schnelle, Udo, Einleitung in das Neue Testament, Göttingen 1994; Schweitzer, Eduard, Das Evangelium nach Matthäus (in: Das Neue Testament Deutsch, Teilband 2), 1. Auflage, Berlin 1977.

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